[Rezension] Detlev Steinberg - Der Abzug

Rückentext:
Von Januar 1991 bis August 1994 zog die »Westgruppe der Truppen«, so die Bezeichnung der russischen Streitkräfte auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, friedlich ab. Rund 340.000 Soldaten verließen - gefolgt von 210.000 Familienangehörigen - unter Mitnahme ihrer gesamten Ausrüstung nahezu geräuschlos das vereinigte Deutschland. Bis zum Abzug war der Alltag der Soldaten, den Detlev Steinberg in seinen Fotografien eindrücklich festgehalten hat, durch die Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin und Einsatzbereitschaft bestimmt. Steinbergs Fotografien stechen aus der Masse der überlieferten Bilddokumente hervor. Sie stellen eine fotografische wie zeitgeschichtliche Entdeckung dar. Das Deutsch-Russische Museum, dem Steinberg sein Fotoarchiv zum Abzug mit mehr als 28.000 Aufnahmen übergeben hat, traf für das vorliegende Buch eine repräsentative Auswahl aus dem Werk. Entstanden ist ein beeindruckendes Dokument zu den deutsch-russischen Beziehungen.

Meine Meinung:
Detlev Steinberg war mir bis dato kein Begriff, ebenso wenig wusste ich darüber, wie die russischen Soldaten damals Deutschland verliessen. Als Schweizer bleiben solche Details aussen vor. Aber als ich diesen Bildband entdeckte, wurde ich neugierig und habe ihn mir deshalb auf Weihnachten gewünscht.

Der Bildband, herausgegeben vom Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst, kommt sehr wuchtig daher, ist aber sehr schön aufgemacht. Zu Beginn gibt es diverse Texte über Detlev Steinberg, seine Bilder, über die Hintergründe des Abzuges und einige Berichte von Leuten, die dabei waren (z.B. ein Soldat, ein Stabschef usw.). Leider sind diese Texte sehr schwer lesbar, da der Satz sehr blocklastig ist, sich das Auge kaum an Abschnitten oder Zeilen festhalten kann.

Danach beginnen die Bilder und das Buch zeigt, was ein Bildband ist. Nämlich ein Buch mit vielen Bildern. Der aktuelle Trend geht leider auch bei den Bildbänden in die Richtung, dass man viel Text produziert und ab und zu ein Bildchen reinquetscht. Nicht bei "Der Abzug". Hier stehen die Fotografien im Mittelpunkt.

Und das ist auch gut so, denn Steinbergs Bilder hätten etwas Anderes gar nicht verdient. Der Fotograf ist stets mit dabei, er ist mitten im Geschehen drin, als wäre er selber einer der Soldaten. Es sind oftmals intime Szenen, die sich uns eröffnen. Steinberg zeigt uns der Alltag in dieser speziellen, ausserordentlichen Situation.

Oftmals wirken die Bilder wie Schnappschüsse, nebenher gemacht, doch bei genauerer Betrachtung eröffnet sich uns ihre Dichte. Hier begegnet uns das Leben, ein Leben, das den meisten von uns verschlossen blieb. Selbst als Zuschauer hat man das Gefühl, mittendrin zu sein. Steinberg hat ein intuitives Gespür für Situationen und die Menschen. So manches Gesicht spricht Bände; man merkt - hier ist nichts gestellt.

Der Aufbau der Fotos zeugt vom Können Steinbergs. Er benutzt Gegenstände, um Linien zu formen, die das Auge führen und die Aussage des jeweiligen Bildes unterstreichen. Mehr als einmal hielt ich inne, schaute mir eine Szene noch einmal an und noch einmal. Steinbergs poetische Bildsprache vermag das.

Eigentlich fand ich es nur schade, dass die Bilder, die der Fotograph einige Jahre nach dem Abzug aufgenommen hat, nicht mehr in diesem Band zu finden sind. Es hätte mich wirklich Wunder genommen, wie die Plätze aussehen, nachdem nun so viel Zeit vergangen ist.

"Der Abzug" ist eine imposante Sammlung, die uns an eine vergangene Zeit erinnert, die noch gar nicht so lange her ist. Eine Sammlung, die das Können eines Fotographen zeigt, von den ich viel zu lange nicht gekannt hatte.


Museum Berlin-Karlshorst
Der Abzug
Die letzten Jahre der russischen Truppen in Deutschland.
Eine fotografische Dokumentation von Detlev Steinberg
TB, 2016
Ch. Links

978-3-86153-814-1

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